Graduiertentagung 2007

Protomoderne - Schwellen früher Modernität

4. GRADUIERTENTAGUNG
des Zentrums Für  Moderneforschung
22./23. November 2007 - Universität zu Köln

 

 

Während sich die kulturwissenschaftliche Forschung in den letzten Jahren einerseits mit der Frage nach der Postmoderne und deren möglichen Unterteilungen intensiv auseinander gesetzt hat und andererseits der Beitrag der Frühromantik zur Formierung der Moderne deutlich herausgearbeitet wurde, sind die früheren Stufen dieser Entwicklung bislang noch zu wenig gewürdigt worden. Ihre Diskussion ist ein Desiderat der Forschung.

 

Nach der Einsicht in die Relativität aller Epochenzuschreibungen müssen die Fragen der Moderne auch für frühere und vermeintlich traditionellere, nicht-moderne Zeitabschnitte gestellt werden. Hinter dem Begriff der Protomoderne steht die Frage nach den Beziehungen zwischen prämodernen Entwicklungen und den Ausprägungen der Modernität in späterer Zeit. Nicht zuletzt will der Begriff Protomoderne eine neue Bestimmung von Konzepten wie Vormoderne, Prämoderne oder Zweite Moderne anregen, ohne selbst bereits als stillgestellt gedacht zu werden.

 

Inwieweit sind die gemeinhin mit der Klassischen Moderne und allenfalls noch mit der Romantik verbundenen Charakteristika (wie z.B. Dynamisierung, Identitäts-, Sprach- und Subjektkrise, Innovationsdruck und Fortschrittsgedanke, Selbstreflexivität, Formavantgardismus, Industrialisierung, technische und intellektuelle Rationalisierung, Ausdifferenzierung von Gesellschaft, Politik und Recht etc.) bereits seit Mittelalter und Früher Neuzeit angelegt bzw. ausgeprägt? Inwiefern ist eine starke Epochenabgrenzung von Mittelalter, Neuzeit und einer angenommenen ersten Moderne (wie der Romantik) gerade aus der Perspektive einer bereits formierten Modernität konstruiert? Gibt es kopernikanische Wenden als epistemische Brüche oder müsste nicht vielmehr von gleitenden Übergängen ausgegangen werden? Welche Rolle spielen gerade moderne Konzepte und Denkfiguren wie die des Eigenen und Fremden (resp. des Anderen) als Differenzierungsbegehren für die Abdrängung älterer Stationen kultureller Entwicklung? Inwiefern werden Modernisierungsprozesse in transnationalen Beziehungen oder außereuropäischen Räumen wichtig (z.B. im Kolonialismus)?

 

Das thematische Spektrum, welches das Konzept der Protomoderne eröffnet, möchte die Graduiertentagung für eine interdisziplinäre Arbeit aller Fächer nicht nur offen halten, sondern diese notwendigerweise konzeptuell einzufordern. Hierbei können die Forschungsinteressen der Promovierenden sinnvoll mit einem erwünschten Forschungs- und Arbeitscharakter der Tagung einhergehen und so die Beteiligten stärker untereinander vernetzt werden, nicht nur über die disziplinären Grenzen, sondern auch über die unterschiedlichen Epochenkonstruktionen der Forschungsfelder hinaus.

 

Sektionen

 

Sektion I:           Geschichtsmodelle und Epochenzuschreibungen

Sektion II:          Epistemische Krisen

Sektion III:        Naturkonstruktionen

Sektion IV:        Virtualität

 


 

Sektionsbeschreibungen

Die Sektionsbeschreibungen geben erste Anregungen dafür, in welchem Rahmen die einzelnen Sektionen verhandelt werden könnten. Andere thematische Zugänge sind möglich und erwünscht.

 

 

Sektion I: Geschichtsmodelle und Epochenzuschreibungen

Geschichtsmodelle und Weltbilder sind in ihrer Entstehung wechselseitig bedingt und präformieren Wahrnehmungen von der und Erkenntnisperspektiven auf die Welt. Neben ihrer Bedeutung für die meist retrospektiv konstruierten Epochenabgrenzungen spiegeln Geschichtsbilder und -modelle auch das Verhältnis zur Modernität bzw. den Prozess von Modernisierung(en). Zyklische oder lineare, aszendierende oder deszendierende, dynamische oder statische Geschichtsmodelle und darauf basierende Epochenkonstruktionen sind Strategeme, über die Altes und Neues, Traditionelles und Modernes immer erst verhandelbar konstruiert werden. Dies kann im Rahmen der Geschichtswissenschaft, Philosophie, den Künsten, der Geschichte der Naturwissenschaften, der Staats- und Rechtsphilosophie aber auch des politischen Handlens selbst betrachtet werden.

 

Sektion II: Epistemische Krisen

Epistemische Krisen resultieren aus dem Konflikt eines epistemischen Systems mit empirischen Veränderungen oder spekulativen Neuentwürfen. Analog zu der Moderne um 1900 kann gefragt werden, welche epistemische Krisen in Mittelalter und Früher Neuzeit warum ausgelöst wurden, welcher Qualität diese Krisen waren und zu welchen neuen Epistemologien sie führten. Zu fragen ist aber auch, inwiefern unter Einbeziehung dieser wechselseitigen Abhängigkeit überhaupt noch von epistemischen Systemen gesprochen werden kann oder dafür andere Parameter wie gleitende Übergänge oder netzwerkartige Entwicklungen als wissenschaftliche Strategeme erforderlich werden (vgl. etwa die curiositas als Denkfigur bzw. den Enzyklopädismus). Kann die Entwicklung eines mechanistischen Weltbildes nicht schon sehr früh datiert werden (z.B. mit der Entwicklung der mechanischen Uhr im 14. Jahrhundert)? Neben dieser grundsätzlichen Konfiguration ist zu verhandeln, in welchen Äußerungsbereichen (Literatur, bildende Künste, Musik, Philosophie, Naturwissenschaften, Ökonomie, Recht, Verwaltung etc.) und auf welche Art sich diese Krisen manifestieren und welchen Einfluss wiederum diese Modi der Verarbeitung auf die Entwicklung der epistemischen Krisen haben.

 

Sektion III: Naturkonstruktionen

Die Entwicklung von Modernität korreliert mit der Aufwertung empirischer Verfahren. Die Hinwendung zur Natur und ihren (vermeintlichen) Gesetzen beginnt seit dem Spätmittelalter transzendente Weltbilder zu überlagern. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass der Auseinandersetzung und Konstruktion der Natur in ihrem Verhältnis/ihrer Differenz zur Kultur seitdem eine große Bedeutung für die Positionierung des Menschen zu seiner Umwelt zukam. Dies spiegelt sich sowohl in den Naturwissenschaften wie auch in den Darstellungsmodi der Künste. Welche Rolle kommt der Natur für die neuzeitliche Subjektkonturierung zu und inwiefern deutet sich die Dissoziation dieser Kontur bereits hier an? Beiträge könnten zeigen, wie das mittelalterliche, statische ordo-Modell über die Auseinandersetzung mit der Natur von dynamischeren Konzepten abgelöst wird, was letztlich in einen prozesshaften Holismus in der Romantik mündet.

 

Sektion IV: Virtualität

Virtualität als Konzept gilt in der neueren Forschung als ausgezeichnetes Merkmal von Modernität, ob als literarische Fiktion, als Nachdenken über die Bedingungen einer spekulativen Weltbewältigung bzw. Erfahrung oder als Erkenntnis der Kontingenz alles potenziell Realisierbaren. Grundlage und Realisierungsraum dafür ist eine verstärkte Selbstreflexivität in allen Diskursen. Prominentes Beispiel für Überlegungen und Konzeptualisierungen in diesem Rahmen sind die Utopien, in die künstlerische Entwürfe (arkadische Orte), politische und staatlich Modelle sowie philosophische Systeme projiziert werden. Zu untersuchen ist, wie der Gebrauch virtueller Modelle auf andere Gesellschaftsbereiche neben der Kunst ausgreift, etwa in der politischen Propaganda (Flugblattliteratur) oder in Versuche einer tatsächlichen Umsetzung münden (z.B. jesuitische Amazonas-Kolonien). Aber auch für die anderen Kunstgattungen (Musik, bildende Künste oder Architektur) ist die Frage nach der Bedeutung von Simulation zu stellen (vgl. etwa die Kunst des trompe d’œil).


Organisation 

Jan Broch (Institut für deutsche Sprache und Literatur I - Köln) 

Jörn Lang (Archäologisches Institut - Köln)

Philipp Fuchs (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung - Düsseldorf)

Markus Rassiller (Institut für deutsche Sprache und Literatur I - Köln)